„Die Auflösung eines solchen Netzwerkes ist nicht kostenlos“

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Knapp vierzig Tage halten die Senioriinen und Senioren ihre Begegnungstätte Stille Straße 10 nun schon besetzt. Während nach dem Willen des Bezirkes Haus und Grundstück aufgegeben, durch den Liegenschaftsfonds meistbietend verkauft und die bisher dort angebotenen Kurse über den Bezirk verteilt weitergeführt werden sollen, bestehen die Besetzer darauf, als Gemeinschaft an ihrem bisher gewohnten Ort weiterbestehen zu können.

Ist der Wunsch nach dem Erhalt der Gemeinschaft nur ein teurer Egoismus der Alten? Die Prenzlberger Stimme sprach darüber mit Dr. Oliver Huxhold vom Deutschen Zentrum für Altersfragen.

 

Herr Dr.Huxhold, was war Ihre erste Reaktion, als Sie von der Besetzung erfuhren?

Gut. Ich hatte gedacht: Gut, dass die das machen. Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt, dass sich Senioren nur selten als Gruppe artikulieren, wenn ihre Rechte beschnitten werden.

Die Senioren in der Stille Straße begründen ihre Protestaktion ja damit, dass sie als Gruppe zusammenbleiben wollen. Sie sagen: Wir brauchen die über die Jahre gewachsene Gemeinschaft. Benötigen Siebzig-, Achtzig- oder Neunzigjährige eine andere Art von Gemeinschaft, als Menschen in der Mitte ihres Lebens?

Sie brauchen dieselbe Gemeinschaft, die wir auch brauchen. Wir treffen uns gern mit Leuten, die uns ähnlich sind. Für die Senioren heißt das, dass sie sich in ihrem Alter ähnlich sind. Deshalb ist es eine gute Sache, wenn sich viele Senioren in einem Haus treffen und austauschen und Freundschaften entstehen können.

Die Damen und Herren aus der Begegnungsstätte sind zum Teil schon seit zehn oder mehr Jahren zusammen. Was für Folgen könnte es haben, wenn sie nun auf viele unterschiedliche Orte aufgeteilt werden und ihren zentralen Treffpunkt verlieren?

Das kann dazu führen, dass lang gewachsene Unterstützungsnetzwerke zerreißen.

Was bedeutet das für die Menschen konkret?

Es ist ja so, dass man in diesem Alter mit körperlichen Einbußen umgehen muss und das die Gelegenheiten, jemand aus der selben Altersgruppe zu treffen, weniger werden – sei es durch krankheitsbedingten Veränderungen oder eben auch auf Grund der Mortalität. Viele Untersuchungen zeigen nun aber, dass gerade die Unterstützung von Freunden im gleichen Alter extrem wichtig ist. Und wenn diese Möglichkeiten nicht mehr gegeben sind, dann hat das Auswirkungen auf das Wohlergehen der Betroffenen – bis hin zu gesundheitlichen Einschränkungen.

Gesundheitliche Einschränkungen, weil Menschen getrennt werden, die zuvor eine Gemeinschaft bildeten?

Grundsätzlich ist das so: Um die Gesundheit im Alter aufrechtzuerhalten, sind Unterstützungsnetzwerke extrem wichtig. Das hat auch etwas mit Stimulierungen zu tun, das hat etwas mit kognitiven Beeinträchtigungen zu tun – und die Hauptquelle von Unterstützung sind enge Freunde. Und über Jahre gewachsene Verbindungen sind nun einmal enger, als jene Strukturen, die bei einer Aufteilung der Gruppe dann neu entstehen müssen.
Je größer das soziale Netzwerk einer Person ist, desto länger kann bei ihr im Alter die kognitive, die gesundheitliche und auch die emotionale Fitness aufrechterhalten werden. Das ist Fakt.

Nun wird die Schließung der Begegnungsstätte seitens des Bezirkes mit der angeblich nicht mehr möglichen Finanzierbarkeit begründet. Es handelt sich dabei – je nach Betrachtungsweise – um eine Summe von 53.000 beziehungsweise 24.000 Euro im Jahr.
Kann man die Kosten des Betriebes einer solchen Einrichtung jenen gesellschaftlichen Kosten gegenüberstellen, die durch die Folgen des Verlustes des sozialen Netzwerkes entstehen?

Das ist für den Einzelfall schwer einzuschätzen. Die Auflösung eines solchen Netzwerkes ist zumindest nicht kostenlos. Die Kosten werden entstehen, wenn durch Folgen der Auflösung die gesundheitlichen und kognitiven Beeinträchtigungen schneller voranschreiten und die Menschen dadurch auch eher pflegebedürftig werden.

Ihr Institut ist unter anderem auch auf dem Feld der Politikberatung tätig. Welche Empfehlung würden Sie dem Bezirk ganz persönlich zum weiteren Vorgehen in der Seniorenbegegnungsstätte Stille Straße geben?

Ich würde dem Bezirk empfehlen, diese Einrichtung weiterzuführen. Denn ob eine Schließung unter dem Gesichtspunkt der möglichen gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen langfristig tatsächlich eine Kostenersparnis darstellt, ist fraglich. Ich würde die Einrichtung nicht schließen.

 

Dr. Oliver Huxhold ist Psychologe und Altersforscher. Er ist am Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA) tätig. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte ist die Forschung über soziale Netzwerke und Partizipation im Alter.

 

 

 


 

 

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5 Kommentare zu “„Die Auflösung eines solchen Netzwerkes ist nicht kostenlos“”

  1. Karrde

    Aug 08. 2012

    Wieder einmal ein Artikel an der Realität vorbei.

    Die Finanzierbarkeit der Einrichtung ist auch weiterhin gegeben. Je nach Betrachtungsweise stehen hierfür 53.000 beziehungsweise 24.000 Euro pro Jahr im Haushaltsplan des Bezirkes Pankow bereit.

    Das Problem ist das Gebäude.
    Denn dieses ist sanierungsbedürftig!
    Abgesehen von den Kleinigkeiten das das Objekt weder Behinderten- noch Altersgerecht ist, die Duschen nicht funktionieren wie so einiges andere. Ist auch die Bausubstanz betroffen. Die Kosten für eine Sanierung beziffert der Bezirk mit über 2.000.000 EUR (2 Millionen).

    Niemand will den Senioren Ihre Begegnungsstätte wegnehmen.
    Wenn Sie einen Investor oder Träger finden der Ihnen diese finanziert, können Sie das Objekt gerne behalten. Der Bezirk und die engagierten Mitglieder der BVV Pankow haben leider bisher niemanden gefunden.

    Na klar könnte der Bezirk auch auf die Argumentation der Senioren eingehen und sagen: „Es ging doch bisher auch. Wir brauchen keine Duschen. Wir sanieren Stück für Stück“. Wenn dann aber das Dach zusammenbricht und jemand verletzt geschweige denn getötet wird, dann ist das Geschrei groß. Und dieses Ei wird sich niemand in sein Nest legen.

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    • von ODK

      Aug 08. 2012

      Den Anwurf der Realitätsferne muss ich bedauerlicherweise an Sie zurückgeben. Die Sozialstadträtin hat in allen Interviews zur Sache beteuert, dass sie die jährlichen Kosten von 60.000 (sie sagt immer „60.000“, das klingt dann ein bisschen gewaltiger) Euro in ihrem Budget nicht zur Verfügung hat. Und mit den Kosten einer Sanierung des Gebäudes hat die aktuelle Schließung nun aber auch gar nichts zu tun, denn die ist erst in der – vom Abegordentenhaus bestätigten! – Investionsplanung von 2015 ff. vorgesehen. Also zum E n d e des n ä c h s t e n Doppelhaushaltes.
      Auch befindet sich das in die Jahre gekommene Dach nicht in einem Zustand, wie Sie ihn suggerieren – denn wäre es so, hätte die Baupolizei zumindest das Obergeschoss, wenn nicht gar das ganze Haus gesperrt. Und: Nach mir vorliegenden Erkenntnissen soll eine Dachreparatur in der vorliegenden Größenordnung schon weit unter 2 Millionen Euro zu haben sein.

      Abschließend: Ihr Satz „Niemand will den Senioren ihre Begegnungsstätte wegnehmen“ liegt gefährlich nahe am 13. August, den wir in fünf Tagen wieder begehen werden.

      Mit besten Grüßen nach nebenan

      ODK

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  2. Stefan Senkel

    Aug 08. 2012

    Lieber Herr Kampmann, ist das wirklich das Niveau auf das wir uns in dieser Sache begeben sollten? Die Schließung der „Stillen Straße“ und der Versuch der Verlagerung des dortigen Angebotes auf andere Orte mit dem Bau der Mauer zu vergleichen ist aus meiner Sicht doch ein wenig weit hergeholt und mit dem Qualitätsjournalismus den Sie eigenlich bieten wollen und sollten nicht wirklich vereinbar. Zumal man beiden Ereignissen damit nicht gerecht wird, weder dem Schrecken der Deutschen Teilung noch den berechtigten Sorgen der Rentnerinnen und Rentner um ihre oder eine Begenungsstätte und den Fortbestand des Angebotes in der jetzigen oder einer anderen Form (und ich will jetzt gar nicht auf die Geschichte des Hauses bzw. der seiner unmittelbaren Nachbarschaft eingehen, die Ihr in die Nähe Rücken der beiden Ereignisse noch absurder erscheinen lässt)

    Sicher ist – überigens nicht erst jetzt, sondern schon in der vergangen Legislaturperiode – beim Umgang mit der Stillen Straße und den Nuter_innen der Einrichtung vieles schief gelaufen.

    Jeder der sich die Einrichtung aber unvoreingenommen anschaut wird zweierlei feststellen – Einerseits den wirklich beachtenswerten und guten Zusammenhalt der Rentnerinnen und Rentner, die dort eine Gemeinschaft gefunden haben über das bloße Kursangebot hinausgeht, anderseits aber das das Haus so nicht auf Dauer zu erhalten ist. Einige bauliche Mängel hat Karrde bereits angesprochen, zu erwähnen wäre auch noch die Feuchtigkeit im Keller.

    Das Sanieren „Stück für Stück“ das die Senioren vorschlagen und das Karrde in seinem Kommentar erwähnt funktioniert nach meinem Kenntnisstand übrigens nicht. Wenn die Stille Straße weiterhin eine bezirkliche Einrichtung bliebe, entfiele bei einer Instandsetzung auch der Bestandsschutz hinsichtlich des jetztigen – weder behindertengerechten noch altengerechten – Bauzustandes. Mit anderen Worten wenn man anfängt zu bauen, muss man auch die Anforderungen an die Barrierefreiheit, den Brandschutz etc. erfüllen, also recht umfangreich bauen.

    Wahrscheinlch haben Sie recht, dass die vom Bezirk genannten 2 Millionen Euro Sanierungskosten zu hoch gegriffen sind, aber selbst wenn es nur 1 Millionen ist, ist festzustellen, dass der Bezirk das Geld nicht hat und wenn er es hätte, ist fraglich, ob er es in dieses Gebäude investieren sollte. Vor diesem Hintergrund sollten aus meiner Sicht jene, die den Erhalt der „Stillen Straße“ in Bezirksregie und auf Bezirkskosten fordert auch erklären welche bezirklichen Sozialeinrichtungen sie statt dessen schließen wollen. Wie sie wissen sind im kommenden Jahr voraussichtlich 600.000 Euro im Sozialetat einzusparen.

    Ich denke, wenn so vielen Menschen so viel am Erhalt des Gebäudes für die bisherige Nutzung und den bisherigen Nutzerkreis liegt, sollten diese Menschen darüber nachdenken dem Bezirk das Gebäude abzukaufen und den Senior_innen zur Verfügung stellen, die können dann nach Herzenslust dort Gemeinschaft leben, Gartenfeste feiern und Sprachen lernen. Für alle die Geld geben ist es vielleicht sogar ein gutes Investment wenn der Käuferverein „Freunde der Stillen Straße“ zu der Erkenntnis kommt das das Gebäude als Seniorenfreizeitstätte auf dauer nicht zu halten ist und nach Schließung des Flughafen Tegel in Pankow die Grundstückspreise (noch weiter)steigen.

    Mit besten Grüßen
    Stefan Senkel

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    • von ODK

      Aug 08. 2012

      Lieber Stefan Senkel,

      bei aller Erregnung, die das Thema offenbar erzeugt: Gehts auch fünf Nummern kleiner?

      Ich weiß nicht, wo Sie einen „Vergleich“ (Sie meinten sicher: „Gleichsetzung“) mit dem Mauerbau erkennen könnten. Die Redewendung „Niemand will…“ bzw. „Niemand hat die Absicht…“ ist von ihrem Ursprung längst losgelöst und gilt allgemein als Synonym für den Widerspruch zwischen einer Aussage und dem tatsächlichen Wollen desjenigen, der den „Niemand hat“-Satz in den Mund nimmt. So und nicht anders war’s gemeint und sollte eigentlich auch von jedem, der nicht völlig ironiebefreit ist, so zu verstehen sein.

      Also: Tief durchatmen, Blutdruck sinken lassen – und schon klappts auch wieder mit dem Erfassen eines Satzsinnes.

      Mit besten Grüßen nach nebenan

      Olaf Kampmann

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  3. Prenzlberger

    Aug 08. 2012

    Bei allem Respekt für die Belange der Senioren und Seniorinnen,
    wir leben alle in einer Welt, in der das Geld knapp ist. Es müssen Prioritäten gesetzt werden. Und eine Villa als netten Treffpunkt kann man nicht halten, wenn gleichzeitig die Obdachlosenhilfe gestrichen würde. Das eine ist Pflicht, die Villa höchstens die Kür.

    @ Herrn Senkel: ODK macht nur wirklich keinen „Journalismus“. Ich sehe ihn als politisch-idiologisch motivierten Aktivisten. Das mit dem Journalismus ist doch eher Tarnung, vielleicht ein Missverständnis. Er schreibt, was er glaubt und für die Sache an die er glaubt. Mit Realität, Sinn und Verstand – oder gar Ausgewogenheit hat das relativ wenig zu tun.

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